(17.12.2016)
Am 17. Dezember eröffnet die Russische Staatsbahn RZD (Rossiyskie Zheleznye Dorogi) eine europaweit einzigartige Zuglinie: die Nachtzugverbindung Moskau-Berlin. Sie reduziert die gegenwärtige Reisezeit zwischen den beiden Hauptstädten um 4,5 Stunden, und Reisende können ohne Umstieg bequem vier Länder durchqueren.
Der Zugverkehr
Die von der RZD betriebenen Talgo-Züge fahren von der Station Moskau Kurskaya bis nach Berlin Ostbahnhof. Für diesen Zugverkehr wurde zwischen den beiden großen Unternehmen RZD und Deutschen Bahn ein Abkommen geschlossen. Der Zug überquert auf der Strecke drei Grenzen: Russland-Weißrussland, Weißrussland-Polen, Polen-Deutschland. Die Zwischenhalte sind (von Nordosten nach Südwesten): Smolensk, Kransoe, Orsha, Minsk, Brest, Bug, Terespol, Warschau, Poznan, Rzepin und Frankfurt (Oder). Die Fahrtzeit zwischen Moskau und Berlin wird 20 Stunden und 14 Minuten betragen, aktuell dauert die Reise 24 Stunden und 49 Minuten. Da der Zug auf vier unterschiedlichen Schienennetzen verkehrt (dem deutschen, polnischen, weißrussischen und dem russischen) musste vorab der Zertifizierungsprozess bei allein drei Schienenverkehrsbehörden durchlaufen werden, mit den jeweilig erforderlichen technischen Standards der Netze. Zu Beginn wird die Verbindung mit Abfahrten samstags und sonntags von Moskau und sonntags und montags von Berlin angeboten.
Die neuen Züge sparen aus zwei Gründen Zeit:
- Der automatische Spurwechsel benötigt weniger als 2 Minuten pro Zug. Zum
Vergleich: Früher benötigte man zum Wechsel der Drehgestelle 2 Stunden. - Durch die natürliche Neigetechnik kann die Kurvendurchfahrtsgeschwindigkeit um bis zu 25 % gesteigert werden, ohne dass Investitionen in die Infrastruktur
nötig werden.
Die RZD vermarktet den Zug unter dem Markennamen "Strizh" (Mauersegler). Mit
diesem Namen folgt das Unternehmen seinem Brauch, seinen Zügen Vogelnamen zu geben. Im Falle des Zuges Moskau-Berlin werden zwei Eigenschaften des von Talgo gefertigten Zuges aufgegriffen: er ist geschmeidig und er ist schnell.
Die RZD hat dem Zug die Nummer 13 (Moskau-Berlin) und 14 (Berlin-Moskau) zugewiesen. Von Moskau nach Brest zieht eine russische Lokomotive den Zug auf den Gleisen mit russischer Spurweite. Auf der Strecke Brest-Berlin zieht eine Lokomotive der polnischen PKP den Zug auf Gleisen der europäischen Normalspurweite.
Technische Einzelheiten des Zuges
Die Züge wurden für Maximalgeschwindigkeiten von 200 km/h zugelassen. Jeder Zug führt 18 Passagierwagen und zwei technische Endwagen.
Die Zugbildung ist:
- 1 technischer Endwagen
- 5 Erste-Klasse-Schlafwagen mit Suiten für je zwei Personen pro Suite mit WC
und Dusche (mehrere davon behindertengerecht), - 4 Erste-Klasse-Schlafwagen mit Abteilen für zwei Schlafgäste pro Abteil. o 1 Restaurantwagen
- 1 Bistrowagen
- 2 Erste-Klasse-Wagen mit Sitzplätzen
- 5 Zweite-Klasse-Wagen mit Liegewagen für je vier Personen pro Abteil o 1 technischer Endwagen
Die Gesamtkapazität beträgt 216 Reisegäste, Fahrscheine sind für einen Erwachsenen für die Strecke Moskau-Berlin ab 130 Euro erhältlich. Die russische Spurweite beträgt 1.520 mm und die europäische 1.435 mm. Der Zug wird automatisch bei der Durchfahrt durch die extra zu diesem Zweck in Brest (Weißrussland) installierten Spurwechselanlage auf die unterschiedlichen Spurweiten angepasst. Die Züge wurden mit einem neuartigen System ausgestattet, welches bei Kälte im Winter das Ansetzen von Eis an Achsen und Rädern (also am Fahrwerk) verhindert. In diesem System wird die warme Abluft aus dem Fahrgastraum wieder verwendet. Deshalb verbraucht das System kaum Energie. Dieses System wurde von Grund auf von spanischen, aber auch russischen Talgo- Ingenieuren entwickelt. Damit die Züge in Deutschland mit hoher Geschwindigkeit verkehren können wurden die Züge mit Magnetschienenbremsen ausgestattet: es besteht in einem Metallstück, welches nach elektromagnetischer Aktivierung am Gleis anhaftet und durch Reibung zur Geschwindigkeitsverringerung beiträgt. Die Wartung der Strizh-Einheiten wird in Moskau (der Hauptteil der Arbeiten) und in Berlin (im Werk der Talgo (Deutschland) GmbH) durchgeführt.
Das Spurwechselsystem
In Europa gibt es vorrangig drei verschiedene Spurweiten:
- Europäische Normalspur: 1.435 mm. Diese Spurweite wird europaweit
angewendet, von Frankreich bis Polen - Russische Spurweite: 1.520 mm. Dies ist die übliche Spurweite in Finnland, Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion
- Iberische Spurweite: 1.668 mm. Diese ist ausschließlich in Spanien und Portugal üblich
Um einen Zug über technologische Grenzen fahren zu lassen gibt es drei Alternativen
- Die Passagiere in einen anderen Zug umsteigen lassen.
- Den Zug anheben und die Fahrwerke einzeln austauschen. o Eine automatische Umspuranlage nutzen, wie die von Talgo.
- Das automatische Umspursystem von Talgo verschiebt die Räder mit Ihren Halbachsen in wenigen Sekunden, ohne dass der Zug dabei anhalten muss.
Der weltweit erste Regelverkehr mit Passagieren, welcher über eine Umspuranlage führte war die am 1. Juni 1969 gestartete Talgo-Zuglinie Barcelona-Genf (Schweiz). In Spanien wird das System täglich mehr als tausend Mal genutzt und ist somit nichts Außergewöhnliches mehr, denn auf diese Weise können die Züge sowohl das Hochgeschwindigkeitsnetz (europäische Normalspur) als auch das Herkömmliche (iberische Spurweite) befahren. Die Talgo-Züge der Baureihen 130 und 730 der Renfe nutzen dieses System und verbinden duzende Städte in ganz Spanien.
Die drei zugrundeliegenden Mechanismen sind:
- Seitliche Hilfsschienen stützen den Zug, so dass die Räder kein Gewicht mehr
tragen. - Senkrechte Führungen bewegen die Verriegelungen an den Fahrwerken
(Halbachsen) und entriegeln sie. - Horizontale Führungen verschieben die Räder (mit ihren Halbachsen) in die für
die neue Spurweite benötigte Position.
Diese drei Vorgänge werden nacheinander ausgeführt: die Räder werden entlastet ->
die Verriegelungen werden geöffnet -> der eigentliche Spurwechsel findet statt -> die Verriegelungen werden geschlossen -> das Gewicht wird wieder auf die Räder übertragen.
Talgo in Russland und Zentralasien
Die Verbindung Moskau-Berlin ist aus naheliegenden Gründen die Bekannteste, die in Eurasien mit Talgo-Zügen durchgeführt wird; in dieser Region verkehren jedoch hunderte Passagierwagen der spanischen Firma.
- Der Hochgeschwindigkeitszug Moskau - Nizhni Nóvgorod, der seit Juni 2015 verkehrt, hat seit Beginn mehr als 2 Millionen Reisende befördert.
- In Kasachstan fahren die Züge in einem Netz mit einer Ausdehung, das einer Fläche zwischen den Pyrenäen bis zur Ostsee und von der Nordsee bis zur Balkanregion entspricht.
- Hochgeschwindigkeitszüge in Usbekistan.
Talgo (Deutschland) GmbH
Das spanische Unternehmen Talgo hat seit Beginn der 90er Jahre durchgängig eine Niederlassung in Deutschland. Damals wurden die Talgo-Nachtzüge auf den Strecken Berlin- Bonn, Berlin-Hamburg und Berlin-München in Betrieb genommen. Gegenwärtig werden im Berliner Werk (mit einer Belegschaft von 110 Mitarbeitern) unterschiedlichste Instandhaltungsarbeiten an Zügen durchgeführt, und es werden von dort einige der am wenigsten bekannten, aber effektivsten Talgo-Produkte vertrieben: die Werkstattausrüstung zur Instandhaltung von unterschiedlichsten Schienenfahrzeugen, von Straßenbahnen bis hin zu Güterlokomotiven. Dazu gehören von Talgo hergestellte Unterflur-Radsatzdrehmaschinen sowie Radparametermessanlagen.
Impressionen vom Talgo-Umspur-Nachtzug