(03.02.2016)
Die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die den Regional- und S-Bahn-Verkehr im Auftrag des Freistaats plant, finanziert und kontrolliert, hat heute ihr Drei-Stufen-Konzept für die Vergabe der Verkehrsleistungen der S-Bahn München vorgestellt:
- Ab Januar 2018 soll dem heutigen S-Bahn-Vertrag, der im Dezember 2017 endet, ein zweijähriger Übergangsvertrag folgen.
- Ab Dezember 2019 will die BEG in einem 1. Münchner S-Bahn-Vertrag die gesamten Verkehrsleistungen zunächst ohne Aufteilung in Lose vergeben (Laufzeit voraussichtlich ca. zwölf Jahre).
- Anfang der 2030er-Jahre nach der Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke und dem Ersatz der heutigen Fahrzeugflotte durch Neufahrzeuge sowie einer Stabilisierungsphase für das das neue Betriebskonzept mit einem deutlich erweiterten Verkehrsangebot will die BEG die Verkehrsleistungen in einem 2. Münchner S-Bahn-Vertrag erneut für vsl. rund zwölf Jahre vergeben und strebt dabei eine Aufteilung des Netzes in mehrere Lose an.
„Wir haben die vergaberechtlichen, planerischen, technischen und wettbewerblichen Rahmenbedingungen einer Vergabe der S-Bahn München angesichts der außerordentlichen Komplexität und Bedeutung dieses Netzes mit Hilfe externer Gutachter eingehend analysiert und uns schließlich für diesen Drei-Stufen-Plan entschieden“, erklärt Johann Niggl, Geschäftsführer der BEG. Ziel ist es zwar grundsätzlich, das Wettbewerbsnetz „S-Bahn München“ auch für Mitbewerber der DB Regio attraktiv zu gestalten.
Allerdings übersteigt die Verkehrsleistung schon heute, ohne die geplante 2. Stammstrecke, den Umfang aller sonstigen Wettbewerbsnetze im Freistaat. Die Zugdichte in der heutigen Stammstrecke ist während der Hauptverkehrszeit mit 30 Zügen pro Stunde und Richtung unter den deutschen S-Bahn-Netzen einmalig, zugleich führen auf den Außenästen die zahlreichen eingleisigen Abschnitte und die Beeinflussung durch Güter-, Regional- und Fernverkehrszüge zu außerordentlich komplexen Betriebsabläufen. „Die Betriebsstabilität ist zu jedem Zeitpunkt das oberste Ziel all unserer Planungen“, betont Niggl. Die Option, das Netz in einzelnen Losen auszuschreiben, um in den nächsten Jahren mehr Wettbewerb zu ermöglichen, hält die BEG vor der Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke für nicht praktikabel. Die Risiken für die Betriebsstabilität seien zu hoch.
Abhängigkeit zu den Planungen zur 2. Stammstrecke
Die Planungen der BEG hängen entscheidend vom Bau der 2. Stammstrecke ab, deren Inbetriebnahme im Jahr 2025 vorgesehen ist. Mit Nutzung der 2. Stammstrecke sollen die jährlich vom Betreiber der Münchner S-Bahn zu erbringenden Zugkilometer von 20 stufenweise auf rund 26 Millionen steigen. „Dies erfordert eine Ergänzung der Fahrzeugflotte. Dazu benötigen wir einen ausreichenden zeitlichen Vorlauf“, erklärt Niggl.
Zweijähriger Übergangsvertrag ab 2018
Vor der Vergabe des 1. Münchner S-Bahn-Vertrags müssen noch Grundsatzfragen zu Themen wie Bruttovertrag, Flottenerweiterung, Vertragslaufzeit geklärt werden. „Deshalb haben wir beschlossen, ab Januar 2018 einen zweijährigen Übergangsvertrag abzuschließen“, so Niggl. Bereits hierfür prüft die BEG punktuelle Fahrplanverbesserungen sowie vereinzelte Kapazitätserweiterungen und strebt eine schärfere Überwachung verschiedener Qualitätsmerkmale an; im Detail werden diese jedoch erst nach Abschluss der Verhandlungen feststehen. Wie Anfang Februar im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntgegeben, plant die BEG, den Übergangsvertrag mit DB Regio abzuschließen, weil u. a. aufgrund der bei DB Regio bereits vorhandenen rund 250 S-Bahn-Fahrzeuge kein anderer Betreiber aus Sicht der BEG für eine Übernahme der Verkehrsleistungen schon ab Januar 2018 in Frage kommt. Jedoch können sich auch andere Eisenbahnverkehrsunternehmen melden, die der Auffassung sind, dass sie die Verkehrsleistungen ebenfalls erbringen können.
1. Münchner S-Bahn-Vertrag (ab Dezember 2019):
Vergabe der Verkehrsleistungen ohne Aufteilung in Lose
Nach Ablauf des Übergangsvertrags will die BEG ab Dezember 2019 die komplette Verkehrsleistung an einen Betreiber vergeben, d. h. das Netz soll nicht in Ausschreibungslose aufgeteilt werden. Die Laufzeit des 1. Münchner S-Bahn-Vertrags ist abhängig von der 2. Stammstrecke und derzeit noch nicht endgültig festgelegt. „Wir wollen, dass der Betreiber zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke bereits über ein eingespieltes Team und ausreichende Erfahrungen mit dem S-Bahn-Betrieb in München verfügt“, so Niggl. „Denn nur dann kann er seine Aufmerksamkeit ganz den Herausforderungen widmen, die mit der neuen Infrastruktur und dem völlig neuen Fahrplankonzept verbunden sind.“ Die BEG hat sich deshalb dafür entschieden, den 1. Münchner S-Bahn-Vertrag über den Inbetriebnahmezeitpunkt der 2. Stammstrecke hinaus laufen zu lassen, damit die Inbetriebnahme der neuen Infrastruktur nicht mit einem Betreiberwechsel zusammenfällt. Während der ersten Phase nach Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke wird die BEG den Betrieb aufmerksam beobachten und die Erfahrungen bei der Ausschreibung des 2. Münchner S-Bahn-Vertrags berücksichtigen. Die BEG beabsichtigt, die Verkehrsleistungen für den 1. Münchner S-Bahn-Vertrag ab Dezember 2019 im Rahmen eines wettbewerblichen Verfahrens zu vergeben und eine entsprechende Veröffentlichung im EU-Amtsblatt vorzunehmen.
2. Münchner S-Bahn-Vertrag (ab Anfang der 2030er-Jahre):
Vergabe der Verkehrsleistungen mit Losen angestrebt
Nach der Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke verbunden mit der Realisierung des zusätzlichen Leistungsangebots sowie dem Austausch der heutigen Fahrzeugflotte durch eine neue Fahrzeuggeneration liegen die notwendigen stabilen Rahmenbedingungen vor, um das Netz in einzelnen Losen zu vergeben. „Wenn Bau und Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke planmäßig verlaufen, könnte der 2. Münchner S-Bahn-Vertrag im Jahr 2032 in Kraft treten“, lenkt Niggl den Blick in die Zukunft.
Bruttovertrag mit Anreizelementen
Ohne öffentlichen Zuschuss wäre der bayerische Regional- und S-Bahn-Verkehr nicht wirtschaftlich zu betreiben. Während die BEG bisher mit den Verkehrsunternehmen grundsätzlich sogenannte Nettoverträge abgeschlossen hat, beabsichtigt sie, den 1. und 2. Münchner S-Bahn-Vertrag als Bruttovertrag mit Anreizelementen zu gestalten. Bei einem Nettovertrag behält das Verkehrsunternehmen die vollen Fahrgelderlöse. Da die Betriebskosten in der Regel höher sind als die Erlöse, erhält der Betreiber die Differenz aus den von ihm im Vorfeld kalkulierten Kosten und Erlösen – das sogenannte Bestellerentgelt. Die Höhe des Bestellerentgelts ist über die Laufzeit des Verkehrsvertrags festgeschrieben. So liegt es im Interesse der Verkehrsunternehmen, die bestmögliche Qualität zu bieten. Denn das bringt mehr Fahrgäste und schließlich mehr Erlöse. Bei einem Bruttovertrag bleiben die Fahrgelderlöse hingegen grundsätzlich beim Freistaat. Das Verkehrsunternehmen erhält ausschließlich das Bestellerentgelt, also die von ihm kalkulierten Kosten. Ohne die Erlöschancen liegt das Bestellerentgelt beim Bruttovertrag in der Regel höher als beim Nettovertrag. Auch hat das Verkehrsunternehmen wenig Anreiz, gute Qualität zu bieten. Der Bruttovertrag mit Anreizelementen ist ein Mischmodell: Es garantiert dem Betreiber ein festes Bestellerentgelt plus einen Bonus für besonders gute Leistungen, z. B. bei Fahrgaststeigerungen, Pünktlichkeit oder Sauberkeit. Bei besonders schlechten Leistungen wird das Bestellerentgelt gekürzt. So besteht ein Anreiz, die Qualität hochzuhalten. Gleichzeitig kommt ein steigendes Fahrgastaufkommen dem Freistaat und dem zukünftigen Betreiber gleichermaßen zugute.
„Der Vorteil des Nettovertrages kommt bei der Münchner S-Bahn nicht so zum Tragen, wie wir es gerne hätten“, so Niggl. Das starke Wachstum der Region München, die hohe Auslastung des Straßennetzes und die Parkplatzsituation führen fast zwangsläufig zu einem steigenden Fahrgastaufkommen. Hinzu kommt, dass die Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke mit einer tiefgreifenden Umstellung des Betriebskonzeptes einhergeht. Im Falle eines Nettovertrages müsste der künftige Betreiber bei der Angebotserstellung die hieraus resultierenden Fahrgast- und Erlöszuwächse kalkulieren. „Wegen der grundlegenden Veränderung des Fahrplankonzepts ist das sehr schwierig und wäre voraussichtlich mit deutlichen finanziellen Risikoaufschlägen verbunden, zumal die Schätzung der Verkehrsunternehmen bereits viele Jahre im Voraus erfolgen müsste“, erläutert Niggl. „Auch aus diesem Grund haben wir uns entschieden, die Münchner S-Bahn-Verträge nach dem Grundprinzip eines Bruttovertrags mit Anreizelementen zu gestalten.“
Bruttoverträge werden von anderen Bundesländern bzw. bei den meisten großen S-Bahnen bereits angewendet, z. B. in Berlin und Hamburg sowie im Rhein-Main- und Rhein-Ruhr-Gebiet.