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(28.10.2011)

Die Schweiz gilt als Vorbild für ein effizientes Personennahverkehrssystem. Doch es gibt auch hochinteressante Modelle im benachbarten Ausland, etwa das so genannte «Karlsruher Modell». Die Stadtbahnen «tramtrains», die durch die Innenstadt fahren, werden dort - ähnlich wie die SBB-Züge – fast zum Opfer des eigenen Erfolgs. Mit mehreren Hundert Millionen Euro hat Karlsruhe daher das grösste Infrastrukturprogramm seiner Geschichte aufgegleist, um die Innenstadt dank einer Tunnellösung vor dem öV-Kollaps zu bewahren. Skeptiker bezweifeln indes, ob der teure Stadtbahntunnel hält, was versprochen wird.


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Wer zurzeit die Stadt Karlsruhe besucht, wird es sofort bemerken. Die ganze Innenstadt gleich einer einzigen Baustelle. Nach Angaben der städtischen Verkehrsmanagementzentrale ist die Fächerstadt derzeit von insgesamt 28 Baustellen und 15 Strassenvollsperrungen durchzogen.

Und dieser Zustand wird noch einige Zeit anhalten. Denn mitten im Herz der oberbadischen Metropole mit ihren 300'000 Einwohnern wird die zentrale Einkaufsmeile Kaiserstrasse auf einer Länge von 2,4 Kilometern untertunnelt – mitsamt einem südlichen Seitenast. Ab 2019 sollen alle Strassen- und Stadtbahnen in dieser Kernzone der Stadt unter der Erde fahren, damit oben eine Fussgängerzone ohne Gleise entsteht.

Die Untertagelegung der Gleise ist erstaunlicherweise eine Folge des Erfolgs der dortigen Stadt- und Strassenbahnen. Denn in Karlsruhe wurde die Idee geboren, das gut ausgebaute innerstädtische Strassenbahnnetz mit den vorhandenen Eisenbahnstrecken in der Region zu verbinden. Damit sollte unter weitgehender Nutzung vorhandener Infrastruktur und der Vermeidung aufwendiger Investitionen für den Neubau von Strecken ein durchgehender Betrieb aus dem Umland bis ins Stadtzentrum ermöglicht werden.

Nicht der Fahrgast steigt um, sondern die Bahn wechselt ihr System. Da schwere Lokomotiven und breite Vollbahn-Fahrzeuge schlecht in die Fussgängerzone fahren können, mussten die vorhandenen Stadtbahnwagen so modifiziert werden, dass sie auf den Eisenbahnstrecken eingesetzt werden konnten. «Man müsste der kleinen Strassenbahn beibringen, auf dem Netz der grossen Eisenbahn zu fahren», dachte der langjährige Leiter der Albtal-Verkehrs- Gesellschaft (AVG), Dieter Ludwig, der Guru des Karlsruher Modells.

Effektiv konnte schliesslich ein «Zweisystem-Fahrzeug» bis zur Serienreife entwickelt werden.

Diese Wagen fahren als Strassenbahn mit 750 Volt Gleichstrom im Stadtgebiet. Erreichen sie die Stadtgrenze, schaltet das Fahrzeug auf 15'000 Volt Wechselstrom um und fährt als Regionalzug auf DB-Strecken weiter. 1992 wurde die erste Regionalstadtbahnstrecke von Karlsruhe nach Bretten in Betrieb genommen. Seither sind unzählige Verbindungen hinzugekommen. Inzwischen grenzt das Schienennetz von 550 Kilometern an die S-Bahn-Netze Rhein- Neckar und Stuttgart an. Im Dezember 2010 feierte man die Einweihung der S-Bahn nach Germersheim (Pfalz). Dieser Anschluss kostete rund 35 Millionen Euro. Systemanbieter der Karlsruher Stadtbahn ist die AVG, eine nicht-bundeseigene Eisenbahn (NE) im Eigentum der Stadt Karlsruhe. Sie betreibt die Stadtbahn in Kooperation mit den Verkehrsbetrieben Karlsruhe (VBK), dem städtischen Verkehrsbetrieb, und der Deutschen Bahn.

In Baden-Württemberg ist das Land Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Das Land bestellt den Betrieb auf DB-Strecken, dabei wird die Stadtbahn wie jede andere SPNV-Leistung behandelt.

Die Zweisystem-Stadtbahn fährt im Takt, entsprechend der Nachfrage zwischen einem Stundentakt und einem 10-Minuten-Takt. Im Eisenbahnbereich werden Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h zurückgelegt, im Strassenbahnnetz fährt die Stadtbahn mitten in die Fußgängerzone mit einem dichten Haltestellenabstand und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h. Das so genannte Karlsruher Modell ist eine Erfolgsgeschichte. Seit der Gründung des Karlsruher Verkehrsverbundes (KVV) sind die Fahrgastzahlen kontinuierlich gestiegen: Von 102 Mio. Fahrgästen im Jahr 1995 auf 176,6 Mio. Fahrgäste im Jahr 2010. Im letzten Jahr gab es nochmals einen Zuwachs von 1,9 Millionen (+1,2 Prozent), während bundesweit die Fahrgastzahlen lediglich um 0,4 Prozent zugenommen haben.

Dabei ist entscheidend, dass die Bahnen aus dem Umland direkt in beziehungsweise durch die Stadt fahren – ohne Umsteigen beim Hauptbahnhof. «Alle unsere Umfragen haben gezeigt, dass der Wegfall des Umsteigens entscheidend ist für unsere Kundinnen und Kunden», sagt Magdalena Pogoda von der KVV-Marketingabteilung. Umgekehrt können Städter praktisch vor den Haustür mit einer Bahn in den Schwarzwald oder in die Pfalz fahren.

Doch der Erfolg dieses Konzept hat eine gewaltige Kehrseite: Seit Jahren fahren so viele Bahnen durch die Stadt, dass die Fussgängerzone manchmal nicht zu überqueren ist. Alle SBahnen müssen sich in engster Zugfolge durch die zentrale Kaiserstrasse quetschen – eine Bahn pro Minute. Eine Entwicklung, die bei Verkehrsplanern nicht auf uneingeschränkte Freude trifft. «Man hat die Innenstadt zum Hauptbahnhof gemacht», sagt Axel Kühn, ein freiberuflicher Verkehrsplaner, der einst selbst für den KVV tätig war. Auch den Vorteil, nicht umsteigen zu müssen, sieht er kritisch: «Man darf das nicht zum Dogma machen.» In Karlsruhe ist das Rad der Entwicklung aber schwerlich zurück zu drehen. Und daher standen die Stadtväter unter Druck, den überbordenden Tramverkehr wieder auszudünnen beziehungsweise erträglich zu machen. Mit einer City-Tunnelvariante soll das nun gelingen. Nachdem ein erstes Projekt in einer Bürgerabstimmung scheiterte, wurde 2002 die so genannte Kombilösung angenommen, welche neben einer Untertunnelung der Kaiserstrasse auch eine Verkehrsberuhigung der parallelen Kriegsstrasse mit einer neuen Strassenbahnlinie und einem Autotunnel vorsieht.

Dabei belaufen sich die Gesamtkosten gemäss Stand 2008 auf 588 Millionen Euro, wobei sich der Bund mit 60 Prozent und das Land Baden-Württemberg mit 20 Prozent beteiligen. Der Rest entfällt auf die Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft. Das Bauvorhaben ist am 21.Januar 2010 mit einem symbolischen Spatenstich in die Umsetzungsphase getreten, hat aber schon nach eineinhalb Jahren Rückstände auf die Marschtabelle sowie erhebliche Kostensteigerungen aufzuweisen. Bereits ist von über 650 Millionen Euro die Rede. Zudem ist bis heute nicht geklärt, ob der Tunnel tatsächlich eine engere Zufolge ermöglicht, Angesichts solch enormer Kosten relativiert sich vor allem die einstige Maxime, das Karlsruher Modell könne «mit wenig Aufwand und Mitteln einen maximal Effekt zu erzielen». Oder anders gesagt: Dieses öV-Modell hat eben doch seinen Preis. Tatsache ist, dass das einst viel gepriesene Karlsruher Modell, das im kleinen Stil Nachahmer in Saarbrücken und Kassel fand, nicht mehr ganz so modellhaft gehandelt wird wie auch schon.

Schwierigkeiten sind der Mischbetrieb von unterschiedlichen Infrastrukturen. Da Stadtbahn und Strassenbahn verschieden hohe Einstiege haben, müssen zudem in den unterirdischen Haltestellen auch unterschiedlich hohe Bahnsteige gebaut werden, um einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Die Untertagelegung von Strassenbahnen gilt sowieso eigentlich schon wieder als überholt. Dazu kommt, dass inzwischen auch Bahnunternehmungen den Regionalverkehr neu entdeckt haben, den sie lange sträflich vernachlässigten. Solche Anbieter können heute potentes Rollmaterial anbieten, etwa mit Doppelstockzügen, was einer Stadtbahn immer verwehrt sein wird. Das Umsteigen an einem Knotenpunkt können die Bahnunternehmen ihren Kunden allerdings nicht ersparen.

Gerhard Lob, Karlsruher Verkehrsverbund

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