(21.06.2013)
Christian Kern, ÖBB-Holding-Vorstand, traf sich gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Bahnchefs mit EU-Verkehrskommissar und Vizepräsident der Europäischen Kommission, Siim Kallas, in Brüssel. Thema war die Liberalisierung nationaler Märkte als Teil des Kommissionsvorschlags zum Vierten Eisenbahnpaket. Kern betonte: "Derzeit fehlen die fairen Voraussetzungen für eine Marktöffnung. Ohne Herstellung gleicher Rahmenbedingungen für die Unternehmen, beispielsweise beim Thema finanzielle Altlasten oder bei arbeitsrechtlichen Standards, wird die EU-Kommission ihre Ziele nicht erreichen. Falsche Regulierungsimpulse können Milliarden an Mehrkosten verursachen, wie man am Eisenbahnsektor in Großbritannien oder derzeit am Energiemarkt ablesen kann."
Die Vertreter des Sektors waren sich einig, dass es keinen einheitlichen Zugang zu Marktöffnung geben kann und dass die Entscheidung darüber, wie Transportverträge vergeben werden, bei den verantwortlichen nationalen Behörden liegen sollte. Die Europäischen Bahnen benötigen dringend einheitliche Interoperabilitäts- und Sicherheitsstandards - die Vorschläge zum 4. Eisenbahnpaket der Europäischen Kommission zu den politisch kontroversiellen Ideen der Entbündelung von Bahnen und Öffnung nationaler Personenverkehrsmärkte können warten.
Während der Lunchdebatte nach dem Meeting mit der Kommission kam es zu einem Meinungsaustausch mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments, wie man den Zielen eines effizienten und innovativen Eisenbahnsektors aus Kundensicht gerecht werden könnte.
Die hochrangigen Vertreter der acht Bahnunternehmen drängten Kallas und die Mitglieder des Europäischen Parlaments, die bedeutenden Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten anzuerkennen, zum Beispiel mit Augenmerk auf die Kundenqualitätserwartungen, die Größe und geographischen Voraussetzungen der Mitgliedsstaaten, den finanziellen Rahmen für Infrastrukturinvestitionen, die Arbeitsmarktbedingungen oder den vorherrschenden Grad staatlichen Eingreifens. Diese Tatsache wurde vom federführenden Mitglied des Europäischen Parlaments zum Thema Liberalisierung, dem Belgier Mathieu Grosch, zur Kenntnis genommen: "Die Kommission hat einen einheitlichen Vorschlag gemacht, der nicht flexibel genug ist, um auf die unterschiedlichen Situationen der Länder und Regionen einzugehen. Die zuständigen Behörden müssen eine wichtigere Rolle spielen und die Mittel erhalten, um die Dienstleistungen unter optimalen und effizienten Bedingungen anzubieten."
Die Europäische Kommission veröffentlichte ihren Vorschlag zum 4. Eisenbahnpakets am 31. Jänner 2013. Das Ziel der Kommission ist unter anderem die Harmonisierung der Interoperabilitäts- und Sicherheitsstandards, um die weiteren Entbündelungsvoraussetzungen für integrierte Eisenbahnunternehmen und die vollständige Liberalisierung nationaler Eisenbahn-Personenverkehrsmärkte zu implementieren. In diesem Zusammenhang trafen sich 8 Generaldirektoren nationaler Eisenbahnen aus Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz mit Siim Kallas und seinem Team der EU-Kommission um ihre Bedenken gegenüber einem einheitlichen Marktöffnungsmodell zu äußern, eine Sichtweise, die auch schon durch den Europäischen Verband der Eisenbahnen und Infrastrukturunternehmen (CER) vertreten wurde.
Die CER wird weiterhin die Entwicklungen des 4. Eisenbahnpakets sehr nah verfolgen und zu einer bereichernden und offenen Diskussion beitragen, wie man den Zielen der Kommission, des Parlaments und des Rats optimal gerecht werden kann. Die nächsten Schritte sind die Veröffentlichung der Berichterstatter des Transportkomitees im Parlament am 6. Juli und die Entscheidung des Komitees am 14. Oktober. Parallel dazu arbeiten die Mitgliedsstaaten an einer Einigung zum Technischen Pfeiler des 4. Eisenbahnpakets.