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(24.08.2012)

Neckartor um 1900 - Foto Archiv SSB AGIm Hochsommer anno 1892 herrschte Verblüffung in Stuttgart: In der königlichen Residenzstadt fuhren Wagen ohne Pferdeantrieb. Aber damit waren nicht etwa die lärmenden und noch zu schwachen Versuchsfahrzeuge von Gottlieb Daimler gemeint, die auf Straße oder auch Schiene seit wenig vorher, 1887, von sich reden gemacht hatten. Das Stadtgespräch bezog sich auf die beiden Straßenbahnwagen, die erstmals in Stuttgart elektrisch betrieben wurden. Zwischen Filderstraße, Marienplatz und Gutenbergstraße, durch die steile Hohenstaufenstraße, begann am 24. August 1892 damit der öffentliche Verkehr mit dieser Antriebsart. Zwar handelte es sich nur um einen Probeeinsatz, der nach einem Vierteljahr, Ende November, wieder endete. Denn die zwei Wägelchen waren für die Stadt Halle an der Saale bestimmt, die erste Stadt in Deutschland, auf der im Jahr zuvor, 1891, der reguläre elektrische Betrieb einer innerstädtischen Straßenbahn mit oberirdischer Fahrleitung begonnen hatte.


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Es dauerte allerdings nochmals drei Jahre, bis 1895, bis auch zu Stuttgart der fahrplanmäßige Verkehr mit eigenen elektrischen Wagen begann. Und als erstes fuhr man dann von der Schwabstraße zum Pragfriedhof sowie von Heslach bis Richtung Cannstatt. Die Steilstrecke durch die Hohenstaufenstraße folgte als Rundlinie über Schlossplatz und Olgaeck, nachdem man mit den flacheren Strecken genügend Erfahrung gesammelt hatte. Immerhin gehörte Württembergs Hauptstadt somit zum ersten halben Dutzend der Städte in Deutschland, nach Berlin, Frankfurt, Halle und Gera, deren Stadtväter und Bürger nun stolz das damalige "High-tec-Verkehrsmittel" vorweisen konnten: Es galt als "chic", mit der "Electrischen" zu fahren, die weder Hufgetrappel verursachte noch Pferdeäpfel hinterließ. Das leise surrende "Singen" der Gleichstrommotoren gilt seither als hörbares Symbol moderner Urbanität.

Zögerliche Stadt

Sowohl für die Straßenbahngesellschaft wie für die Entwicklung der Stadt war der leistungsfähige Elektrobetrieb eine wirtschaftliche Notwendigkeit: Je mehr die Stadt sich ausdehnte und die Siedlungen die Hänge hinaufkletterten, umso hinderlicher fühlte man den mangelnden Verkehrsanschluss. Die seit 1868 aktiven Betreiber der Stuttgarter Pferdebahn hatten aber weder Lust noch Geld besessen, ihr bescheidenes Gleisnetz von der Innenstadt aus weiter in die neuen Quartiere vorzustrecken. Denn ein Gaul hat keinen Leistungsregler: Ein Pferd alleine war die für langgezogenen Steigungen zu schwach, zwei Pferde waren zu unwirtschaftlich. Erst der aus Norddeutschland zugezogene unternehmungslustige Ingenieur Ernst Lipken gründete 1886 die zweite, "Neue Stuttgarter Straßenbahngesellschaft" – eine Konkurrenz zur ersten Pferdebahn, die das Geschäft sofort belebte.

Lipken versuchte sehr früh, die Stadt vom Vorzug des elektrischen Antriebs zu überzeugen, doch von allen Gemeinderäten hielt nur Stadtrat Kölle zu ihm. Erst der Bürgerausschuss – eine Art Gegenpol zum Gemeinderat – bewog sowohl die Räte als auch die zögerliche Stadtverwaltung, dem Versuch mit der neuen Technik zuzustimmen: "Bürgerinitiative" für technischen Fortschritt! Denn es gab Bedenken wegen der mangelnden Ästhetik der zunächst als "Galgen" bezeichneten Masten, der "unschönen Drähte" und befürchteter Unfallgefahren. Die Probestrecke von 1892 jedoch trug dazu bei, "im Kreise des großen Publikums manche Vorurtheile zu klären", wie die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) zu Berlin als Ausstatterin der Stuttgarter Anlagen später resümierte.

Doch da sich selbst "allerhöchste Stellen", sprich Königshaus und Hofverwaltung, alsbald von dem sauberen, wendigen und fast geräuschlosen Verkehrsmittel überzeugt zeigten, stand einer "bevorzugten architektonischen Gestaltung" der Stromleitungen, mit filigranen Gussmasten und malerisch verschnörkelten Auslegern, nichts mehr im Wege. Für den nötigen "Saft" für den Probebetrieb sorgte übrigens ein puffendes Lokomobil, eine Art der damals für Industrie und Ackerbau üblichen Straßen-Dampflokomotiven, wie sie Max Eyth so humorvoll beschrieben hat. Dieses eiserne Ungetüm war für jene Wochen auf dem Marienplatz stationiert, wo es einen Generator antrieb.

"Endgiltige Einrichtung"

Die Aktivitäten von Ernst Lipken hatten schon 1889 auf Druck der Stadt zur Fusion der beiden vormals "feindlichen" Verkehrsgesellschaften geführt: "Stuttgarter Straßenbahnen" (SSB) nannte sich alsbald die vereinigte Firma, Lipken wurde ihr Chef. Der absehbare habhafte Bedarf an elektrischer Kraft "elektrisierte" aber auch Stadtverwaltung und Stadtgremien: Diese erkannten nach den Probefahrten von 1892 schnell, dass diese Kraftquelle eine nötige und elementare Chance für Gewerbe und Bewohner bilden würde, aber auch ein Monopol in der Hand des Betreibers. Deshalb blockten sie das Bestreben ab, private Kraftstationen zu errichten, und beschlossen, dieses neue Kapitel der Stadtentwicklung von Anfang an in kommunale Hände zu legen.

Das erklärt, weshalb aus dem erfolgreichen Probebetrieb der SSB nicht sofort eine "endgiltige Einrichtung" werden konnte, wie bedauernd festgestellt wurde. Zunächst musste der Kraftwerksbau in Regie der Stadt vorbereitet und durchgeführt werden. Man hatte bereits bemerkt, dass sich der fehlende städtische Einfluss auf die – bis damals ausschließlich private – Straßenbahngesellschaft immer wieder als Nachteil herausstellte. Grundversorgung in öffentlicher Hand – wie man sieht, vor fünf Generationen ein genau so brisantes Thema wie heute. Nach dem planmäßigen Debüt der funkensprühenden Tram am Nesenbach ging die völlige Umstellung auf die unsichtbare Antriebskraft übrigens in Windeseile vor sich. Noch vor der Jahrhundertwende begab sich der letzte Gaul der vormaligen Pferdebahn in "Rente".

Heute effektiver denn je
Inzwischen ist das Stichwort Elektromobilität in aller Munde. Wolfgang Arnold, technischer Chef der SSB, warnt jedoch davor, den Pkw mit Elektroantrieb mit der Lösung aller Probleme des motorisierten Individualverkehrs gleichzusetzen. Selbst die Tatsache, dass bei dieser Antriebstechnik vor Ort keine belastenden Abgase entstehen, sage noch nichts darüber, wie die im Pkw gespeicherte elektrische Energie erzeugt wurde. Und bei anderen wichtigen Aspekten, wie Unfallgefahren, Flächenbedarf und unwirtschaftliche Auslastung, gebe es ohnehin keinen Unterschied zum konventionellen Auto.

Deshalb, so Arnold, werde auch in Zukunft nachhaltige Mobilität nur mit einem qualifizierten, leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) möglich sein. Denn der ÖPNV bildet die Rückgratfunktion im Mobilitätsangebot. Er müsse so attraktiv gestaltet sein, dass er dem vor allem in den Städten erkennbaren Trend, ganz oder gelegentlich auf das eigene Auto zu verzichten, entgegenkommt. Intermodale Vernetzung heißt das Stichwort: Dazu muss und wird sich die ÖPNV-Branche aktiv gestaltend einbringen, damit ÖPNV, Fußgängerverkehr, Fahrradverkehr und der motorisierte Individualverkehr als Teile eines Gesamtangebots wahrgenommen werden, die sich gegenseitig ergänzen.

Wichtig sei aber auch: Die 120 Jahre Erfahrung mit der Elektromobilität im Schienenverkehr, auf die der ÖPNV in Stuttgart zurückblicken kann, seien für die SSB kein Anlass, sich zufrieden zurückzulehnen. Die Vorteile des elektrischen Antriebs und dessen Chancen eines Energiemanagements, das bei der Stadtbahn durch Stromrückspeisung konsequent umgesetzt ist, sollen auch im Busverkehr genutzt werden. Die Absicht der SSB, in den kommenden Jahren Brennstoffzellen-Hybridbusse im Linienverkehr zu erproben, gilt als Teil dieses Ansatzes. Denn die Möglichkeit, den für die Brennstoffzellen notwendigen Wasserstoff aus regenerativer elektrischer Energie zu gewinnen, wird etwa mit der Nutzung der Windenergie zunehmen.

Wolfgang Arnolds Resümee: Wenn es um nachhaltige Mobilität geht, dann werden Bahn und Bus in Zukunft noch mehr eine entscheidende Rolle spielen. Arnold: "Für den Erhalt und die Weiterentwicklung des ÖPNV braucht es aber, gerade jetzt, politische Unterstützung auf allen Ebenen – sei es auf kommunaler Seite wie bei Land und Bund." Der Nahverkehrsfachmann hofft, dass die Energiewende auch zu einer Verkehrswende führt: "Das könnte eine ähnliche Initialzündung ergeben, wie die ersten Schritte des elektrischen kommunalen Schienenverkehrs vor 120 Jahren."

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